Albert Marcus Kluge - Hypothese über die Dreiteilung der Welt - Metaphysik aus reiner Unterscheidung

Leseprobe Grundlagen der Dreiteilungshypothese

 

 


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I:  Die Hypothese über die Dreiteilung der Welt


14. Wir erfahren die Welt als eine Vielheit von Verschiedenem. Besser gesagt, wir erfahren ständig eine Vielheit von Verschiedenem und nennen diese »die Welt«. Wobei wir »Verschiedenes«, in zunächst einfachster Weise, in einem erfahrenen »dieses und nicht jenes« verstehen wollen und unter »Erfahren«, ganz allgemein, ein Unterscheiden von eben solchen Verschiedenen, in dieser einfachsten Weise. Ein jedes zur Vielheit dieser Welt Gehörende ist in irgendeiner Hinsicht verschieden von jedem anderen zu ihrer Vielheit Gehörenden. Die Gemeinsamkeit alles Vielen der Welt liegt in der allseitigen Verschiedenheit aller Vielen voneinander. Für den das Viele Erfahrenden ist dieses Viele immer gleich allem Vielen der Welt, nichts geht darüber hinaus, nichts bleibt dahinter zurück. Die Vielheit des Verschiedenen der Welt ist jedem diese Vielheit Erfahrenden offenkundig, für ihn unvermeidbar und von ihm unhintergehbar.


15. Was uns alles schnell einsichtig wird, wenn wir uns klarmachen, dass es für unser Erfahren der Vielheit des Verschiedenen der Welt völlig egal ist, was wir in einer solchen Vielheit von Verschiedenem erfahren oder wie wir eine solche Vielheit von Verschiedenem erfahren oder auch als wie viel Vieles wir eine solche Vielheit von Verschiedenem erfahren, sondern dass es dafür nur erforderlich ist, dass wir eine Vielheit von Verschiedenem erfahren, eine Vielheit von Verschiedenem, die wir als solche aber stets erfahren. Ein wie auch immer »falsches Erfahren« dieser Vielheit von Verschiedenem, als die Vielheit des Verschiedenen der Welt, ist unmöglich.


16. Wenn wir die Welt als eine Vielheit von Verschiedenem erfahren, dürfen wir daraus ableiten, ein jedes aus dem Vielen existiert auch genau in der Weise, in der wir dieses als verschieden von allem anderen aus dem Vielen erfahren? Dürfen wir also »Verschiedenes« und »Existierendes« als gleichbedeutend verstehen oder müssen wir zwischen diesem und jenem nochmals unterscheiden? Die Begründung der für unsere Untersuchung zentralen Annahme einer solchen Gleichsetzung ist nun die, dass wir uns genau deshalb dazu berechtigt fühlen, diese Gleichsetzung wenigstens zu postulieren, weil wir im Erfahren des Vielen, zwischen Verschiedenem und Existierendem gar nicht nochmals unterscheiden können.


17. Diese aus der Erfahrungsgewissheit des verschiedenen Vielen abgeleitete Gleichsetzung von »Verschiedenem« und »Existierendem« können wir aber nur postulieren und nicht wie auch immer beweisen. Müssten wir doch für eine beweisfähige Gleichsetzung von Verschiedenem und Existierendem ein bestimmtes Verständnis von Existierendem überhaupt bereits irgendwie voraussetzen, welches wir mit eben dieser Gleichsetzung aber erst festlegen wollen. Ganz allgemein, weil auf diesem Wege ja überhaupt erst eine sichere Grundlage für ontologische Aussagen und Schlussfolgerungen geschaffen werden soll. Und nicht zuletzt, weil mit einer formalen Gleichsetzung von »Existierendem« und »Verschiedenem« allein noch gar nicht festgestellt ist, worauf dieser Zusammenhang, jenseits der bloßen Erfahrung, denn eigentlich in der Sache beruht, was wir für eine beweistaugliche Prüfung zu wissen hätten, gerade mithilfe dieser Gleichsetzung aber erst aufzudecken hoffen. Wir wollen die nur zu postulierende Gleichsetzung von Verschiedenem und Existierendem dennoch indirekt festigen und uns verständlicher machen, indem wir einige auf der Hand liegende Einwände dagegen zurückweisen.


18. Ein erster Einwand ist: Wir erfahren doch vieles als verschieden voneinander, was aber nicht existiert. Zum Beispiel wenn wir uns etwas von anderem Verschiedenes nur vorstellen oder Ähnliches. Aber alles, was wir als verschieden von anderem erfahren, existiert genau in dem Sinne, indem wir es als verschieden von anderem erfahren. Dagegen einzuwenden, die Existenz der Vorstellung eines Gegenstandes darf nicht verwechselt werden mit der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung, verkennt, dass es hier gar nicht um etwa die Vorstellung von etwas geht, sondern um ein Erfahren von etwas überhaupt, als etwas Verschiedenes, auch etwa in einer oder als eine Vorstellung. So verstanden können wir unmöglich einerseits etwas (was auch immer) als (wie auch immer) verschieden erfahren und andererseits zugleich behaupten, dieses als verschieden Erfahrene, in genau dem Sinne, indem wir dieses als verschieden erfahren, existiere gar nicht.


19. Ein zweiter Einwand ergibt sich aus der Umkehrung des ersten: Es existiert doch vieles, was wir nicht oder nur gerade nicht als verschieden von anderem erfahren. Zum Beispiel unbeachtete Dinge hinter unserem Rücken oder Ähnliches. Um jedoch dafür zu zeigen, dass etwas, was wir nicht als verschieden von anderem erfahren, gleichwohl existiert, muss dieses ja dennoch irgendwie erfasst, also als etwas von anderem Verschiedenes erfahren werden, und zwar genau so, wie wir dieses gerade als existierend verstehen. Jeder Versuch, Existierendes über das gerade erfahrene Verschiedene hinaus zu behaupten, ist also nur möglich, indem im Widerspruch dazu solches Existierendes zugleich bereits ebenfalls als etwas entsprechend Verschiedenes erfahren wird.


20. Ein dritter Einwand ist: Unterschiedliches Erfahren von Verschiedenem führt doch zu widersprüchlichen Existenzbehauptungen. Zum Beispiel wenn jemand etwas als verschieden erfährt, jemand anderes aber nicht. Doch selbst wenn andere nicht als verschieden erfahren, was wir als verschieden erfahren, eine Täuschung über eine solche Erfahrung, die wir gerade machen, wäre für uns ein unmöglicher Selbstwiderspruch. Selbst wenn wir Täuschungen überhaupt für möglich hielten, gilt: Eine Täuschung ist für uns keine, wenn wir von ihr wissen und eine Täuschung ist für uns keine, wenn wir nicht von ihr wissen. Wir können lediglich behaupten, andere täuschen sich, oder diese können behaupten, wir täuschen uns. Sogar wenn wir selbst, etwa zu einem späteren Zeitpunkt, eine wie auch immer andere Erfahrung machen als zuvor, ändert deren Gültigkeit zu diesem späteren Zeitpunkt nichts an der Gültigkeit unserer vorherigen Erfahrung zum vorherigen Zeitpunkt, wie ebenso umgekehrt nicht.


21. Dass mit unterschiedlichen Erfahrungsperspektiven unterschiedliche Erfahrungen über »die Welt« einhergehen oder wir selbst wechselnde und unterschiedliche Erfahrungsperspektiven auf »die Welt« haben, sollte eigentlich sowieso kein Grund zu ernsthafter Verwunderung sein. (Wenn etwas verwundert, dann wohl eher, dass Erfahrungen aus unterschiedlichen Perspektiven auch zu gleichen Existenzbehauptungen führen können.) Das Problem der unterschiedlichen Erfahrungen, unterschiedlicher Existenzerfahrungen, besteht, wenn wir in unserem Untersuchen doch ausdrücklich vom Erfahren ausgehen, auch weniger in daraus folgenden vermeintlichen Widersprüchen hinsichtlich der Existenz von etwas, sondern viel mehr darin, zuerst diese unterschiedlichen Erfahrungen der Existenz von etwas selbst in einen widerspruchsfreien Zusammenhang bringen zu müssen. Und dieser Frage nach den Zusammenhängen solcher unterschiedlichen Erfahrungen geht wiederum die grundlegendere Frage nach dem Erfahren des Existierenden beziehungsweise Verschiedenen noch voraus, die wir aus nur einer einzelnen Perspektive heraus stellen. Fragen zur Problematik multiperspektiver Erfahrungen von Verschiedenem und Existierendem können sinnvoll erst gestellt werden, wenn dafür das monoperspektive Erfahren, und damit auch das Erfahren von Verschiedenem und Existierendem überhaupt, schon hinreichend ausführlich aufgearbeitet wurde, was wir hier ja gerade tun wollen.


22. Die für den weiteren Verlauf unserer Untersuchung wichtigste Annahme überhaupt besagt also: Was wir als verschieden erfahren, verstehen wir als ebenso existierend und was wir als existierend verstehen, erfahren wir als ebenso verschieden, beziehungsweise wir setzen »verschieden« und »existierend« einander gleich, weil wir beides im Erfahren des Vielen gar nicht voneinander trennen können. Der Kern dieses Postulats lautet: Was existiert, ist von (was auch immer) anderem verschieden, und was von (was auch immer) anderem verschieden ist, existiert, oder: zu existieren heißt, sich zu unterscheiden beziehungsweise unterschieden zu werden, aber auch: zu existieren heißt, von (was auch immer) anderem verschieden zu existieren, und lautet zusammen, wobei wir »existieren« und »sein« bedeutungsgleich benutzen wollen, und sehr viel einprägsamer: »sein heißt verschieden sein!«


23. Dieses so bestimmte »Existenzpostulat«, in der Gleichsetzung von Verschiedenem und Existierendem beziehungsweise (bedeutungsgleich verstanden) Seiendem, ist der archimedische Punkt für unsere gesamte Untersuchung, an dem wir alle unsere argumentativen Hebel ansetzen werden, da dieses Postulat uns mit dem »verschieden sein« sowohl einen logisch als auch einen ontologisch fassbaren und belastbaren Zugang eröffnet, zu dem, was »sein« eigentlich genau bedeutet, und was uns auf diesem Wege sichere Aussagen über alles »Seiende« beziehungsweise alles »Seiende als Seiendes« und sogar darüber hinaus erlauben wird. Mit dieser Vorüberlegung, durch die uns das erfahrene, viele verschiedene Seiende der Welt als Vieles so auch zählbar und darin sogar berechenbar geworden ist, führen wir nun im nächsten Schritt die erfahrene Vielheit der Welt auf eine dieser Vielheit zugrunde liegende Einheit zurück.


24. Wir erfahren die Welt als eine Vielheit von Verschiedenem. Woher aber kommt das Viele? Nicht das Viele von bestimmten Verschiedenen beziehungsweise von bestimmten Seienden, sondern das Viele nur als Vieles? Kommt dieses Viele als Vieles aus mehr als diesem Vielen, sodass sich die Vielheit der Welt immer weiter verringert oder kommt dieses Viele als Vieles aus weniger als diesem Vielen, sodass sich die Vielheit der Welt immer weiter vergrößert oder bleibt dieses Viele als Vieles immer gleichviel Vieles, sodass die Vielheit der Welt immer unverändert bleibt?


25. Kommt das Viele aus mehr als diesem Vielen, heißt das gleichbedeutend, wenn vorher Vieles war, muss jetzt weniger Vieles sein. Aber im Widerspruch dazu erfahren wir, aus Vielem wird nie weniger, sondern stets mehr. Denn wir können im Erfahren von Vielem kein Vieles durch ein weniger Vieles ersetzen, etwa indem wir feststellen, das nunmehr weniger Viele existiert jetzt und das vorherige Viele existiert jetzt nicht mehr, da unserem Existenzpostulat zufolge alles, was wir als wie auch immer (verschiedenes) Vieles erfahren, ontologisch gleichwertig ist, nämlich darin, dass es ist, das heißt existiert. Um ein nunmehr weniger Vieles gegenüber einem zuvor Vielen zu erfahren, müssen wir ja beide Vielheiten (als Vielheiten) erfahren, wie sollte »weniger« sonst verstanden werden?, wodurch das somit erfahrene gesamte Viele, als das erfahrene aktuelle Viele, mit und in diesem Vergleich aber gerade nicht weniger als das zuvor Viele geworden ist, sondern mehr. Das Viele kommt also nicht aus mehr als diesem Vielen und einsichtigerweise bleibt mit der gleichen Überlegung das Viele auch nicht das diesem Vielen gleichviel Viele. Das Viele kommt demnach aus dem weniger Vielen. Nur dieser Verlauf steht mit unserem auch bei dieser Annahme unvermeidbaren Erfahren eines immer mehr werdenden Vielen im Einklang.


26. An dieses so festgestellte vorherige weniger Viele können wir nun erneut die gleiche Frage nach dem Woher dieses weniger Vielen richten und erhalten auf dem gleichen Wege wie zuvor auch die gleiche Antwort wie zuvor: Das weniger Viele kommt aus dem noch weniger Vielen. Dieses Verfahren können wir fortsetzen, solange das jeweils vorhergehende weniger Viele noch ein Vieles ist. Es endet erst, wenn anstelle des weniger Vielen nur noch Eines steht. Denn Eines ist kein Vieles mehr, was die Frage, woher das Viele als Vieles kommt, beantwortet: Das Viele kommt aus Einem!


27. Wir sind hinsichtlich unserer Frage nach dem Vielen beziehungsweise nach dem Verschiedenen beziehungsweise nach dem Seienden, mit dem Einen an einem gewissen Endpunkt angelangt. Diesen »Endpunkt«, oder besser »Anfangspunkt« oder »Einheitspunkt«, können wir allerdings nicht mehr als existierend, nicht mehr als ein Seiendes verstehen, da dieses nur noch Eine nicht mehr dem vom Existenzpostulat für Seiendes geforderten »verschieden sein« (von was auch?) entsprechen kann. Damit werden weitere und schwierige Fragen aufgeworfen: Was bedeutet es, wenn etwas kein Seiendes ist, beziehungsweise was, etwas als nicht Verschiedenes zu verstehen, aber gleichwohl doch irgendwie als irgendetwas? Was heißt es für »die Welt« im Ganzen, wenn ihr anfänglicher Einheitspunkt nicht existiert? Und nicht zuletzt: Können wir über diesen nicht existierenden Einheitspunkt hinaus dennoch in sinnvoller Weise nach einem noch tieferen Ursprung der Welt suchen? Wir werden in späteren Kapiteln Antworten auf all diese Fragen geben.


28. Schöpfen wir aber zunächst den eingeschlagenen »numerischen Weg« noch etwas weiter aus. Jetzt gehen wir allerdings in der umgekehrten Richtung vor, vom nunmehr (wie auch immer genau) als etwas »Erstes« beziehungsweise als ein »Anfang der Welt« verstandenen (nicht verschiedenen) Einen wieder zurück zum (verschiedenen) Vielen. Mit der Frage, wie aus Einem Vieles wird, fragen wir aber nicht, ob dieses überhaupt möglich ist, denn dass das Viele aus Einem entsteht, wissen wir schon, die Vielheit der Welt erfahren wir ja, von dieser offensichtlichen Grunderfahrung sind wir ausgegangen. Wir fragen (vorerst) auch nicht, wie sich vielleicht ein Übergang vom Einen zum Vielen vollzieht. Bevor wir uns mit so etwas wie einem Übergang beschäftigen können, müssen wir erst mehr darüber wissen, wohin ein solcher Übergang führen soll, also über das Viele.


29. Was wir bereits vom Vielen beziehungsweise von den Vielen wissen, ist, aus mit diesen einhergehender Erfahrung, deren allseitige Verschiedenheit voneinander als solche, und durch Ableitung, dass Vieles (wie auch immer) aus Einem kommt. Wenn wir nun fragen, wie das Viele aus Einem entsteht, fragen wir damit also auch nach dem Entstehen des Vielen als Verschiedenem. Danach, was das »verschieden sein« der verschiedenen Vielen eigentlich genau ausmacht. Wir fragen nach den Beziehungen, die die aus Einem entstehenden und voneinander verschiedenen Vielen untereinander haben müssen, um von uns überhaupt als auch verschiedene Viele erfahren werden zu können.


30. Wie wird also aus dem Einen im Anfang der Welt das Viele? Aus Einem wird Vieles durch »Teilung«. So nennen wir die numerische Vermehrung von Einem zu Vielem (verschiedenen Vielem). Die einfachste und naheliegendste Teilung des Einen in Vieles ist eine Teilung in die offenbar kleinstmögliche Vielheit von zwei voneinander Verschiedenen. Angenommen, unsere Welt besteht nunmehr (ausschließlich!) aus diesen zwei Teilen. Was macht diese beiden Teile verschieden voneinander, was unterscheidet sie, damit wir diese überhaupt gemäß der »Grunderfahrung« als zwei Verschiedene und gemäß dem »Existenzpostulat« als zwei Existierende (Seiende) erfahren und verstehen können?


31. Was sie voneinander unterscheidet, sie zu einem erfahrenen »dies und nicht das« macht, kann nur das eine oder das andere Teil selbst sein, weil sonst ja noch nichts existiert und weil uns es das Existenzpostulat nicht erlaubt, einfach zusätzlich einen »Unterschied« zu den beiden Teilen hinzuzunehmen, da wir einen solchen »Unterschied« (gegenüber den Teilen) als etwas Verschiedenes erfahren würden und damit als ein weiteres Existierendes verstehen müssten, wobei wir aber ausdrücklich nur zwei existierende Teile angenommen haben. Ist der Unterschied demzufolge mit einem der beiden Teile identisch, ist er aber offensichtlich nicht zugleich verschieden von diesem einen Teil, was er zum Unterscheiden beider Teile voneinander jedoch sein müsste. Es gibt damit keinen Unterschied zwischen nur zwei Teilen, weshalb diese zwei Teile, in Nichterfüllung des Existenzpostulats, auch nicht existieren können. Eine Teilung des Einen in zwei Teile ist also grundsätzlich unmöglich.


32. Eine Teilung des Einen in drei Teile vermeidet das Problem des fehlenden Unterschieds, wie bei dem Versuch einer Teilung in zwei Teile, und bietet uns darüber hinaus die Möglichkeit, auch dieses dritte, unterscheidende Teil selbst wieder von den anderen beiden Teilen zu unterscheiden, wenn wir dafür annehmen, ein jedes der drei Teile sei der Unterschied für die jeweils anderen beiden Teile. Die drei Teile, als drei Unterschiedene beziehungsweise drei Unterscheidende, stützen sich auf diese Weise gegenseitig in ihrem »verschieden sein«, gemäß Existenzpostulat in ihrem »sein«, das heißt, sie existieren alle drei. Eine Teilung des Einen in drei Teile ist damit grundsätzlich möglich.


33. Die Annahme einer Teilung des Einen in vier Teile wirft wieder ein Problem auf. Drei der Teile können sich zwar gegenseitig unterscheiden, wie gerade beschrieben, das vierte Teil aber kann etwa vom ersten Teil nur durch das zweite Teil oder das dritte Teil unterschieden werden. Wenn durch das zweite Teil, unterscheidet das zweite Teil sowohl das erste Teil vom dritten Teil als auch das erste Teil vom vierten Teil, was zusammen nicht möglich ist, da die Unterschiede von einem Teil zu zwei anderen (ebenfalls voneinander zu unterscheidenden) Teilen nicht die gleichen Unterschiede sein können, also nicht nur ein Unterschied sein kann. Ebenso scheitert der Versuch, das vierte Teil durch das dritte Teil vom ersten Teil zu unterscheiden, in entsprechender Weise. Gleiches gilt für die Unterscheidung des vierten Teils vom zweiten Teil wie auch vom dritten Teil, und so weiter. Eine Teilung des Einen in vier Teile ist somit nicht möglich.


34. Eine angenommene Teilung in fünf Teile vergrößert dieses Problem sogar noch. Gegenüber der Teilung in vier Teile kommt bei dieser Fünfteilung ein weiteres Teil hinzu, welches zwar ein fehlender Unterschied für das vierte Teil der Vierteilung gegenüber den anderen drei Teilen sein könnte, der uns dort fehlte, welches aber auch selbst wieder Unterschiede zu allen anderen vier Teilen benötigt, die alle nicht vorhanden sind. Wenn sich aber nicht jedes der fünf Teile von den jeweils übrigen vier Teilen unterscheidet, können wir gar nicht von fünf verschiedenen Teilen sprechen. Für sämtliche weiteren und höherzahligen Teilungsversuche gilt erst recht: immer mehr Unterschiede sind erforderlich, als Teile dafür zur Verfügung stehen. Für jedes durch ein weiteres Teil gestopfte Loch entstehen sogar zunehmend mehr Lücken. Eine Teilung des Einen in fünf oder mehr Teile ist damit ebenfalls unmöglich.


35. Wenn wir von Einem ausgehen, ist die einzig mögliche Lösung des Teilungsproblems, der Teilung dieses Einen in Vieles, und damit die Lösung des Teilungsproblems überhaupt, eine Teilung in genau drei Teile. Und dieses Prinzip setzt sich weiter fort. Eine Teilung nunmehr eines dieser drei Teile führt mit genau den gleichen Überlegungen wie zuvor zu einer weiteren Teilung in notwendigerweise wiederum genau drei Teile. Dies gilt ebenso für alle weiteren Teilungen eines jeden beliebigen Teiles, welches durch eine solche Teilung entstanden ist: Jede Teilung ist eine Dreiteilung! Es gibt keine Ausnahme. Das beantwortet die Frage nach dem Entstehen des Vielen als Verschiedenem aus Einem überhaupt. Das von uns als verschieden erfahrene Viele der Welt, alles, was existiert, muss grundsätzlich auf das Ergebnis von »Dreiteilungen« zurückzuführen sein.


36. Um dieser weitreichenden, jedoch so bisher nur sehr formalen Behauptung mehr Gehalt zu verleihen und sie zu einer wissenschaftstauglichen Hypothese auszubauen (zur »Hypothese über die Dreiteilung der Welt«), müssen wir dafür die gerade aufgezeigte grundlegende allererste Teilung in notwendig genau drei Teile, beziehungsweise eine einzelne darin verstandene »Dreiteilung« überhaupt, aber noch etwas genauer betrachten, was uns dann erst in die Lage versetzen wird, darauf aufbauend, wie gemäß der daraus hervorgehenden Hypothese, und erst im Laufe der gesamten Untersuchung, die behaupteten dreiteiligen Zusammenhänge aller vielen verschiedenen Seienden der Welt auch aufzuzeigen.


37. Was können wir also über die genaue logische beziehungsweise ontologische Form einer solchen »Dreiteilung« aussagen? Wir wissen nun, ihre drei Teile sind verschieden voneinander und ein jedes der Teile unterscheidet die jeweils anderen beiden Teile voneinander. Dafür gibt es bei drei Teilen drei Unterscheidungen dieser Teile voneinander beziehungsweise durcheinander. Doch diese drei Unterscheidungen als solche, nur als Unterscheidungen, unterscheiden sich nicht voneinander. Das die jeweils anderen beiden Teile unterscheidende Teil ist in allen drei Fällen nur ein unterscheidendes Teil als solches und die beiden unterschiedenen Teile sind in allen drei Fällen nur zwei unterschiedene Teile als solche. Wir haben zwar drei Teile, die voneinander und durcheinander verschieden sind, nicht aber als Verschiedene, also nicht als voneinander Unterschiedene beziehungsweise als durcheinander Unterscheidende, darin sind sie alle drei nicht verschieden. Würden wir dennoch innerhalb einer Teilung drei solche wiederum unterschiedene Unterscheidungen annehmen, hätten wir nicht mehr nur drei Teile, sondern bereits neun Teile voneinander zu unterscheiden, was aus den zuvor genannten Gründen aber nicht möglich ist.


38. Daraus ergibt sich die zunächst wohl etwas seltsam erscheinende Folgerung, dass sich uns jede Dreiteilung im Ergebnis nicht in drei verschiedenen ontologischen Formen, mit jeweils einem Unterschied beziehungsweise Unterscheidenden und zwei Unterschiedenen, in wechselnden Rollen zeigt, sondern in nur einer einzigen besonderen Form, mit genau einem bestimmten unterscheidenden Teil und genau zwei bestimmten unterschiedenen Teilen, ungeachtet dessen sich alle drei Teile voneinander und durcheinander unterscheiden. Bestimmen wir diese nur eine, besondere ontologische Form der Dreiteilung näher:


39. Die beiden besonderen unterschiedenen Teile sind als unterschiedene Teile miteinander vertauschbar. Das eine Teil ist vom anderen Teil ebenso unterschieden wie das andere vom einen, durch das besondere, sie unterscheidende dritte Teil. Sie sind so nicht unterscheidbar bezüglich ihrer gegenseitigen Verschiedenheit voneinander und dennoch verschieden voneinander. Das unterschiedene Teil, welches nicht das eine ist, ist das andere und welches nicht das andere ist, ist das eine. Wir nennen diese beiden Teile einander »gegenteilig« oder einfach »Gegenteile«. Das eine besondere unterscheidende dritte Teil hat dagegen kein Gegenteil beziehungsweise kann als sein eigenes Gegenteil verstanden werden. Wir nennen es auch das »neutrale« Teil oder einfach das »Neutrale«. Mit dem Vorherigen zusammen gilt: Jede Teilung ist eine Dreiteilung in ein besonderes neutrales Teil und zwei besondere einander gegenteilige Teile.


40. Wir können diese Teilung des Einen, die erste Teilung überhaupt, den gewissermaßen »ontologischen Urknall« in die Welt der Seienden hinein, dem im Ergebnis alle weiteren Teilungen der Form nach gleich sind, aus den aufgezeigten logischen und ontologischen Notwendigkeiten heraus, auch als einen »dreifachen Symmetriebruch« verstehen und beschreiben, der im Ergebnis die drei verschiedenen Seienden hervorbringt: Der »erste Symmetriebruch« ist der von numerisch Einem in numerisch Drei, der »zweite Symmetriebruch« ist der von numerisch Dreien in drei voneinander und durcheinander Verschiedene, der »dritte Symmetriebruch« ist der von drei voneinander und durcheinander Verschiedenen in ein besonderes unterscheidendes Neutrales und zwei besondere unterschiedene Gegenteilige, und damit in die drei verschiedenen Seienden. Über die genauere Ausgestaltung und Bedeutung solcher »inneren Strukturen« der Dreiteilung können wir uns aber sinnvoll erst äußern, wenn wir ihre ontologischen Merkmale auch jenseits der drei existierenden Teile besser verstanden haben, wofür wir jedoch erst in späteren Kapiteln die Mittel in die Hand bekommen.


41. Veranschaulichen wir uns die Grundidee der »Dreiteilung« in einem einfachen Gedankenexperiment: Stehe ein gewöhnliches Blatt Papier für das nur Eine im Anfang der Welt. Reißen wir dieses eine Blatt nun einmal durch, wie viele Teile sind es jetzt? Scheinbar genau zwei Teile, und sogar einander gegenteilige Teile. Was aber trennt beziehungsweise unterscheidet diese beiden Teile voneinander? Der freie Raum, der zwischen ihnen erkennbar geworden ist? Wir hatten aber doch nur eines vorgegeben, das eine Blatt, nicht zusätzlich noch einen »Raum«, den wir für eine Trennung der beiden Blatthälften nutzen könnten. Andererseits benötigen wir dennoch notwendig irgendetwas, das genau diese Rolle eines Dazwischenliegenden, Verbindenden beziehungsweise Trennenden einnimmt, um die beiden Hälften voneinander zu unterscheiden. Woher aber sollte ein solches unterscheidendes Drittes kommen, wenn nicht, ebenso wie die beiden Hälften, aus dem heraus, was zuvor das eine Blatt war?


42. Die beiden Blatt-»Hälften« sind also nur zwei von drei Teilen, in die das eine Blatt (= das anfängliche Eine der Welt) nunmehr geteilt wurde. Und da das gleiche einsichtigerweise auch für diese so entstandenen drei Teile gilt, wenn diese wiederum geteilt werden und ebenso für deren Teile, und so beliebig weiter, muss dies letztlich sogar auch für genau dasjenige Blatt Papier gelten, welches wir zur Demonstration dieses Gedankenexperimentes vielleicht tatsächlich in den Händen halten und nur scheinbar in zwei Teile, tatsächlich aber in drei Teile zerreißen! Dass wir dabei das unterscheidende, neutrale dritte Teil weder sehen noch bislang in der Sache sonst wie genauer benennen oder verstehen können, ändert nichts an dessen zweifelloser Existenz, gemäß den Notwendigkeiten unserer bisherigen Überlegungen.


43. Die im Titel unserer Schrift genannte »Hypothese über die Dreiteilung der Welt« besagt also: Jede Teilung ist eine Dreiteilung, jedes Existierende der Welt existiert nur als ein Teil des Ergebnisses einer Teilung in notwendig genau drei Teile, die sich alle drei voneinander und durcheinander unterscheiden sowie in zwei auf besondere Weise einander gegenteiligen Teilen und in einem auf besondere Weise zu diesen beiden Teilen neutralen beziehungsweise selbstgegenteiligen dritten Teil bestehen, als die besondere logische beziehungsweise ontologische Form einer jeden Dreiteilung. Diese Hypothese wollen wir nun im weiteren Verlauf der Untersuchung nicht nur durch zahlreiche praktische Beispiele zu bestätigen versuchen, sondern auch theoretisch nach und nach ausbauen sowie nicht zuletzt grundlegende metaphysische Folgerungen und Erkenntnisse daraus ableiten.


© 2019/2022 Albert Marcus Kluge




 


Albert Marcus Kluge

Hypothese über die
Dreiteilung der Welt

Anregung für eine
Metaphysik aus reiner
Unterscheidung

Band 1:  Grundlagen

Erstauflage, BoD 2019

Unv. Neuauflage 2022

288 S., 84 Schaubilder

TB bei »BoD« - 13,60 €
ISBN 9783756834693

EB bei »XinXii« - 4,95 €